von Karl Heinrich Krämer †
zusammengetragen von Thimo Huber
mit freundlicher Genehmigung durch Dr. Hubert Kerscher vom Verlag Schnell & Steiner, Regensburg (ehemals München)
Der Kötztinger Pfingstritt gilt als das älteste und schönste kirchliche Heimatfest des Bayerischen Waldes. „Von volkskundlicher Warte aus betrachtet, ist dieser Ritt für die Waldgegend das, was die Leonhardifahrt von Tölz für das mittlere bayerische Oberland, was der Georgiritt zu Traunstein für den Chiemgau – und der Aigner Leonhardstag für das Rottal und das bayerische und österreichische Innviertel ist: Ein Volksfest im wahren Sinne, ein Heimatfest, das bewußt mit der Treue zum alten Brauch die Liebe zur Heimat frisch wieder in biedere Herzen prägt …“ (G. Schierghofer)
Zählt Prälat Dr. Hindringer („Weiheroß und Roßweihe“) den Kötztinger Pfingstritt neben der Tölzer Leonhardifahrt und dem Oster- oder Georgiritt zu Traunstein zum „prächtigen Dreigestirn, das alljährlich am Himmelsbogen des altbayerischen Bauernlebens“ aufzieht, so betrachtet Dr. Oskar Ritter von Zaborsky-Wahlstätten den Kötztinger Pfingstritt als „die Krone des Pfingstbrauchtums im Bayerischen Wald:…Nicht als ob es hier nur eine Prozession zu Pferde gäbe; solche sind bis in die katholischen Gegenden Norddeutschlands verbreitet. Aber es ist die große Zahl von Reitern, der Reichtum des Schmuckes von Roß und Mann, Bürger und Bauern in alter Tracht, das herrliche, im Maiengrün prangende Zellertal, durch das der Ritt geht, und der nicht geringe Reichtum des mit dem Ritt verbundenen Brauchtums machen ihn für jeden Heimatfreund und für jeden Fremden zu einem unvergeßlichen Erlebnis…“.
Für einen Kötztinger ist der wichtigste Tag im Jahr: der Pfingstmontag, der Tag des Pfingstrittes! Alljährlich erwartet das kleine typisch altbayerische Städtchen Tausende von Gästen. Sie wollen Zeugen des farbenprächtigen Schauspiels sein, das 1985, im Jahre der 900-Jahr-Feier Kötztings, 625 berittene Wallfahrer in die Pfingstrittstadt führte. Bürger und Bauern in alten Trachten erfüllten ein uraltes Gelöbnis ihrer Väter, mit einer bis dahin unerreichten Höchstbeteiligung.
Vorbereitungen
Schon Wochen vor dem Pfingstmontag werden die Vorbereitungen zur großen Reiterwallfahrt getroffen. Der „Pfingst-Schmaz“, wie die einheimischen Frauen und Männer das Reden und Erzählen von Geschichten und Geschichte ihres Pfingstrittes nennen, beherrscht die ganze Stadt und das Umland. Frühzeitig heißt es Ausschau halten bei den Roßbauern im Kötztinger Land; denn manche Pfingstreiter wollen einen richtigen Ackergaul (das Süddeutsche Kaltblutpferd) haben, während andere das Reitpferd (das Bayerische Warmblutpferd) bevorzugen. Durch das Aufleben der Reit- und Fahrvereine sowie durch die Teilnahme auswärtiger Reitergruppen hat der Kötztinger Pfingstritt zweifellos an Zahl und Schönheit der Pferde wie auch an Pferderassen sichtlich zugenommen und beachtlich gewonnen.
In den Waldbauernstuben und in den Bürgerhäusern, im Rathaus und im Pfarramt dreht sich in diesen Tagen alles um das große Fest des Glaubens und der Heimat. Die Trachten werden aus den Schränken geholt, Frauen und Mädchen fertigen kleine Papierrosen, die den Pferden in Mähne und Schweif eingeflochten werden, die Reiter bringen Sattel und Zaumzeug auf Hochglanz. Die Feriengäste, die um diese Zeit bereits in großer Zahl Ruhe und Abgeschiedenheit des Waldlandes genießen, müssen den Eindruck gewinnen, als gäbe es für die Kötztinger nichts anderes mehr auf der Welt als den Pfingstritt.
Entstehung – Ursprungsdeutungen
Legenden, Erzählungen und derartige Aufzeichnungen vermögen die Entstehung des Kötztinger Pfingstrittes freilich nur widersprüchlich aufzuzeigen. Zumeist beruft man sich auf die
Legende, wonach 1412 der Kötztinger Pfarrherr in den späten Abendstunden zu einem sterbenden Bauern in Steinbühl berufen worden sei. Fromme junge Männer aus Kötzting hätten dem Geistlichen das schützende Geleit gegeben. Auf dem Heimweg durch die tiefen Wälder seien der Pater und seine Begleiter dann von Straßenräubern („Heiden“) überfallen worden. In das Gebet um Rettung habe der Geistliche das Gelöbnis einer alljährlichen Wallfahrt nach Steinbühl eingeschlossen. Der Pfarrer und das Allerheiligste, so erzählt die Legende weiter, seien dank der tapferen Jünglinge glücklich bewahrt worden. Dem tapfersten der Burschen soll der Errettete nachher das Kränzlein, das sich um den Behälter der heiligen Hostie schlang, überreicht haben. Noch heute stellt die Überreichung des „Pfingstkränzleins“ an einen von Stadtrat und Pfarrer erwählten „ehr- und tugendsamen Bürgerssohn“, den Pfingstbräutigam, einen Höhepunkt des Pfingstrittgeschehens dar.
Die Nothafft’sche Familien-Chronik. „Im Jahre 1430 war es. Der Ritter Nothafft von Hohenwarth bei Kötzting begleitete jeden Priester, der Kranken oder Sterbenden die heilige Wegzehrung brachte, mit Gewappneten, denn solche Geistliche waren der Ermordung durch streifende hussitische Mordbrenner besonders ausgesetzt. Einmal aber lauerten sie wieder auf und erschlugen den Ritter nach tapferer Gegenwehr. Der Priester konnte nach Kötzting zurückflüchten. Die zu Hilfe eilenden Kötztinger Bürger konnten nur noch die Leiche des Ritters bergen… Seit dieser Zeit übernahmen die Kötztinger selbst den Geleitschutz. Ein Überrest ist der noch heute bestehende Pfingstritt…“ (W. Straßer)
Die Sage von Pater Felix. Der Benediktinermönch und Einsiedler Pater Felix stirbt am Pfingstmontag beim feierlichen Gottesdienst in Steinbühl in den Armen seines väterlichen Freundes, des Niederbayern-Herzogs Sigismund. Dieser stiftet zum Gedenken einen Jahrtag. „Und unsere Söhne sollen mitreiten, wie wir heute mitgeritten sind“, „um den Jahrtag zu feiern am Grabe des guten Pater Felix!“ „So ward es gefertigt und unterschrieben, so ward es für alle Zeit vollzogen: Das ist der Pfingstritt!“ (Costa Bader)
Die Viehseuche. 1819 bricht in Kötzting eine Viehseuche aus, die auch im Jahre 1820 noch nicht abgewendet werden kann. In ihrer argen Bedrängnis entsinnen sich die Kötztinger wieder ihres Pfingstrittes. (Aus einem Schreiben des Magistrats am 3. März des folgenden Jahres an das katholische Pfarramt mit der „submissenten Bitte, diesen Bittgang als ein erneuertes Verlöbnis zu Pferd am Pfingstmontag…gefälligst wiedereinzuführen…“): „Zu Ehre Gottes und dieser Heiligen ‚Nikolaus, Wendelin und Leonhard‘ ist schon vor alten Zeiten her ein Kreuz- oder Bittgang zu Pferd am Pfingstmontage nach dem Steinbühel verlobt und hergebracht bestanden, welcher in jüngster Zeit erst wegen dem dabei eingeführten Unfuge des Schießens aus Pistolen abgestellt wurde.“
„Diesen Bittgang zu Pferd, allenfalls verbunden mit der Austeilung eines Kranzes an den würdigsten der anwesenden Jünglinge, und einer kurzen Rede, wünschten die vom Übel bedrohte Marktgemeinde Kötzting in Übereinstimmung mit den umliegenden Kötztingerischen Pfarrgemeinden um so mehr wieder zu erneuern, als durch dabei stattfindender frommer Gebete, die Gemüter der Wallfahrer erhoben, hiedurch die Fürsprache der verehrten Heiligen Gottes bewirkt und vom Allgütigen sofort die Abstellung des furchtbaren Übels desto sicherer gehofft werden kann…“
Die Stadtfahnen 1782/1855. Beharrlich beruft sich die Legende über die Entstehung des Pfingstrittes zu Kötzting auf das Jahr 1412. Diese Jahreszahl wird durch zwei sogenannte Marktfahnen überliefert, von denen eine aus dem Jahre 1782, die andere aus dem Jahre 1855 stammt. Die ältere trägt die Inschrift „Renovirt worden anno 1782 durch die Ehrengeachteten Bürgers Söhn allhier, seinen Anfang deßen Ritt 1412“. Damit datiert diese Pfingstrittfahne erstmals vom Entstehungsjahr und bietet überdies eine erste bildliche Darstellung der Reiterprozession von Kötzting nach Steinbühl, eine zeitgenössische Bilddokumentation ersten Ranges.
Auf dem Fahnenblatt (42 x 39,5 cm) sind zehn Reiter abgebildet. An der Spitze: der Kreuzträger, dem zwei Laternenträger folgen. Alle drei haben dunkelbraune lange, jeweils an der rechten Seite mit Silberknöpfen besetzte Röcke an. Mit dunklen Strichen sind Halstücher angedeutet. Auch bei den übrigen Reitern sind schwarze bzw. dunkle Hosen und Stiefel zu erkennen. Die Monstranz vor der Brust des Geistlichen (im weißen Chorrock) ist mit dem Kränzchen geschmückt. Hinter dem Geistlichen reitet eine geschlossene Dreiergruppe: der Pfingstbräutigam mit seinen beiden Brautführern. Der linke trägt eine rosafarbene braunschattierte Jacke, der andere rechts außen eine dunkelblaue. Beide Brautführer präsentieren offene Degen. Die folgenden zwei Reiter sind nur mehr schwer erkennbar.
Auf der Pfingstrittfahne (Marktfahne) von 1855, einer Kopie der Marktfahne von 1782, führt der mittlere Reiter der Dreiergruppe eine Fahne mit. Er ist damit nicht mehr der Pfingstbräutigam von 1782, sondern Träger der Marktfahne geworden. Im Übrigen entspricht die Darstellung der „Pfingstrittspitze“ der durch Jahrhunderte beibehaltenen Aufstellung.
Zusammenfassung. Wenn auch die Entstehung des Kötztinger Pfingstrittes im Dunkel der Geschichte liegt und mehrere Ursprungsdeutungen zuläßt (Pfingstrittlegende, Nothafft’sche Familienchronik, die Sage von Pater Felix, Volksaussagen, Viehseuchen, Fahnendokumente), so kann man evtl. doch (nach Riederer 1912!) „eine dreifache Art der Erklärung folgendermaßen verbinden“:
Der Pfingstritt wird heidnischen Ursprungs sein. Viehseuchen mögen der Grund gewesen sein, ihn immer wieder fortzusetzen.
Ein gefahrvoller Provisurritt (in Begleitung tapferer Kötztinger Burschen) mag der Anlaß gewesen sein, das Allerheiligste (bis 1869, wieder seit 2004) mitzutragen und das Kränzlein von der Monstranz (dem „besten“ dieser Burschen) zu überreichen. Wenn auch die Volkskunde ein viel höheres Alter angibt, so ist die Jahreszahl 1412 doch auch nicht ohne Grund überliefert.
Von 1804 bis 1820 war der Pfingstritt (nach einer „landesherrlichen Verordnung“ vom 23. Januar 1804) sogar verboten. Seit seinem „Wiederaufleben gibt es kein einziges Jahr ohne den Pfingstritt“, denn: „Kötzting steht treu zu Gott und seinem alten Brauch. Wie es die Alten übten, lernt es die Jugend auch!“
Der Pfingstritt
Hochstimmung in Stadt und Land! Bereits in den frühen Morgenstunden des Pfingstmontages streben die Bauern von den weit abgelegenen Einöden und Berghöfen auf oft stundenlangem Weg der Pfingstrittstadt zu.
Schmuck des Pferdes. Bestechend ist immer wieder der festliche Schmuck der Pferde. „Man möchte geradezu von einem Schmuckkult sprechen, wenn man in ihm nicht gerade den alten Kultschmuck sehen will.“ Zierliche Rosenketten haben die Pfingstreiter ihren Pferden um den Hals gehängt, Spitzennetze um die Ohren gezogen und buntfarbenes Bänderwerk in Schweif und Mähne eingeflochten. Wie pures Gold blinken die Messingbeschläge der Zaumzeuge, auf denen vielfach alte Jahreszahlen stehen.
Starke Bauern-, Roßknecht- oder Holzhauerhände führen die Rösser nach Kötzting hinunter zum Gelöbnisritt in das Zellertal, „dem Herrgott und der Heimat zur Ehre“.
Beim Weckruf um 5 Uhr früh haben abwechselnd „Blechmusik“ und Spielmannszug der FFW Kötzting mit schneidigen Märschen die Bewohner der Stadt und die vielen Gäste aus den Betten geholt. Schon klingt das Geklapper der Hufe vom holperigen Pflaster herauf wie frohe Verheißung. Immer dichter werden die Menschenmassen an den Straßen und auf den Plätzen. Zeit wird es auch für die „Reiterspitze“ mit Kreuzträger, den beiden Laternenträgern, Mesner und Ministranten, Pfingstbräutigam mit seinen beiden Brautführern, den Geistlichen Offiziator in der mächtigen Kirchenburg abzuholen und sich am Friedhofsplatz – Torstraße – Veitskirche aufzustellen. Längst haben sich die Ritteilnehmer aus Kötzting und der näheren Umgebung in der Gehringstraße und die Ritteilnehmer aus den umliegenden Gemeinden in der Holzapfelstraße gesammelt.
Ausritt. Acht Uhr. Unter dem festlichen Geläut aller Kirchenglocken bei krachenden Böllerschüssen, im Geleit von Choralmusik der Festkapelle und abwechselnd von getragenen Feldschritten der Trommlergruppe des Spielmannszuges, beginnen unzählige Hufe über die Marktstraße zu klappern. Mannhaftes Gebet hallt wider von den Häuserzeilen. „Der Pfingstritt kommt!“ An der Spitze dieser Männerwallfahrt zu Pferd reiten der Kreuzträger, zwei Träger der buntverglasten Wallfahrerlaternen, die zwei Fanfarenbläser, der Geistliche Offiziator mit Mesner und Meßdienern, der Pfingstbräutigam und seine beiden Brautführer, der Träger der Stadtfahne (Pfingstbräutigam des Vorjahres) und die beiden Begleiter sowie die Abordnung der Burschenschaft. Es folgen Bürger und Bauern hinter der Landfahne. Dazwischen flattern immer wieder die Erinnerungsfahnen (für 25 Jahre) mit Ehrenbändern (für 40, 50 und 60 Jahre Ritteilnahme). Wieder erneuern Bürger und Bauern das uralte Gelöbnis des Pfingstrittes von Kötzting zur St. Nikolauskirche in Steinbühl. Ein kerniger, gesunder Menschenschlag legt ein mächtiges Bekenntnis zu seinem Herrgott und zu seiner Waldheimat ab. Ungetrübter Bürgersinn, bäuerliche Lebenskraft und tief verwurzelte Heimatliebe sind seit Jahrhunderten Hintergrund dieses religiösen Geschehens. Hier offenbart sich die Seele des Waldlervolkes in ihrem schlichten Wesen, ihrer innigen Frömmigkeit.
Die Tracht. Endlos lang erscheint der Zug der betenden Reiter (889 im Jahre 2008). Und was könnte sie mannhafter kleiden als die Tracht ihrer Väter? Die Männer, Burschen und schon die jungen Buben tragen ihr Leinenhemd unter dem mit Silbertalern geschmückten Samtleibl, darüber dunkelblaue oder schwarze Janker, langschössige blaue Sonntagsröcke. Grüne Fichtenbrüche, gold- und silbenfadendurchwirkte Lärchenzweige zieren die breitkrempigen Bauernhüte. Nur wenige Pfingstreiter tragen keine Kopfbedeckung. Um den Hals werden seidene Tücher geschlungen oder als „Krawatten“ gebunden. Nicht selten ragen aus Stiefeln blumenverzierte Kronawittstecken. So ziehen sie dahin, betend und sich besinnend, vorbei an den vier Evangelienstätten, zur Wallfahrtskirche St. Nikolaus – wie seit Hunderten von Jahren.
An den Evangelienstätten. Lasset uns beten…“O Gott, such die Felder und Früchte deiner Diener gnädig heim und segne sie; halte schädliche Gewitter, Regengüsse und Überschwemmungen fern, und gewähre uns gütiges Wetter! – Schenk uns auf unser demütiges Flehen hin heiteren Himmel und Regen zur rechten Zeit…!“
In den letzten Jahren hat man die einfachen Schauerkreuze durch wertvolle Kreuzdarstellungen in Holz, Eisen und Stein sowie durch ein Denkmalglasmosaik zu „Dauerstätten der Verehrung“ erhoben.
1. Evangelium (1956) bei Grub: Holzkreuz mit bronzenem Kruzifix, auf Quadermauern – von der Kötztinger Kolpingsfamilie neugestaltet
2. Evangelium (1957) auf Wölkersdorfer Höhe: Schmiedekreuz auf Granitfindling – vom Burschen-Wanderer-Verein Kötzting neu erbaut
3. Evangelium (1958) in Bärndorf: Granitkreuz – eine Stiftung der Pfingstreiter
4. Evangelium (1959) in Traidersdorf: Denkmal-Glasmosaik „Hl. Michael als Drachentöter“ von A.Ph. Henneberger – durch die Filialgemeinde Steinbühl erneuert.
Feldmesse. Während sich die Reiterprozession auf ihrem 7 km langen Weg durch das blühende Zellertal wallfahrend fortbewegt, versammelt sich viel Volk aus nah und fern in Kötzting um 9 Uhr zur feierlichen Feldmesse vor St. Veit. „Alt und jung zu Tausenden, aus der Ferne von Regensburg, Amberg, Nürnberg, Straubing, Cham, Furth im Wald und aus Böhmen, den Thälern des vielfach sich krümmenden Regen, von den Bergen herab sind sie gekommen, die sich jetzt auf dem geräumigen Marktplatze vor der St. Veitskirche sammeln, um dem Gottesdienst beizuwohnen.“
Reitermesse in Steinbühl. Vier Kennzeichen – das Kreuz an der Spitze, die vier Evangelien, das Gebet unterwegs und die Pfingstreitermesse – geben dem Pfingstritt eine entscheidende Prägung.
Eineinhalb Stunden sind die Pfingstreiter unterwegs, bis das Kirchlein mit der originellen Turmhaube erreicht ist. In Steinbühl steigt alles aus dem Sattel, um dort der Reitermesse beizuwohnen. Die Rosse werden auf Ställe und Scheunen verteilt oder müssen – welch hohe Pfingstweihe! – mit an die Kirche, wo sie im Schatten mächtiger Linden verschnaufen.
Die Reiter schicken derweil in den Fürbitten der Roßheiligen Nikolaus, Wendelin und Leonhard all ihre Sorgen um Roß und Acker, um Wachstum, Ernte und guten Holzgang zum Himmel. „Allzeit schon herrschte der fromme Glaube, durch den Pfingstritt den Segen Gottes auf Pferdehaltung und Glück im Stall zu erlangen.“
Einritt. 13 Uhr. Wieder läuten in Kötzting die Glocken. Die hohe Geistlichkeit, das Pfingstrittkomitee, Ehrengäste, Behördenvertreter, Stadt- und Kirchenräte, die örtlichen Vereine mit ihren Fahnenabordnungen erwarten die zurückkehrenden Reiter in der Herrenstraße. Böllerschüsse, Glockengeläut und Reiterfanfaren kündigen die glückliche Heimkehr an.
„Bis vor etwa 70 Jahren nahm der Reiterzug seinen Rückweg nicht durch die Herrenstraße, sondern geradewegs durch den Regen zum Bleichanger; dann sagten die Buben zueinander: ‚So, jetzt ist das Wasser geweiht, jetzt dürfen wir baden‘“. Tausende säumen den Weg dieses festlichen Zuges über die Gehring- und Torstraße zum Oberen Markt, wo der Ritt auch angefangen hat.
Der Festakt
Seit 1949 ist der Festakt – mit der Ansprache des Geistlichen Offiziators, mit der Überreichung des Kränzleins an den Pfingstbräutigam und der Auszeichnung langjähriger Ritteilnehmer – vom Bleichanger (Jahnplatz) auf den Oberen Markt vor der Veitskirche verlegt worden. Die rechte Straßenseite wird für die Reiter freigehalten. Aus der Torstraße kommend, marschieren Festmusik, Honoratioren und Fahnenabordnungen auf den abgesperrten Platz vor dem Marienbrunnen ein. Ihnen folgt der berittene Geistliche Offiziator, während die Reiter zur Linken des Veitsplatzes zur Spitze des Pfingstrittes aufschließen.
Am Marienbrunnen warten indes die beiden Pfingstbräute (die dies- und die vorjährige). Außerhalb des freien Platzes halten sich der Pfingstbräutigam hoch zu Roß und die zur Auszeichnung vorgesehenen Reiter zum Abruf durch den Geistlichen Offiziator bereit.
Ansprache des Geistlichen Offiziators. Eine unüberschaubare Menschenmenge lauscht der Ansprache des Geistlichen Offiziators, seinen markigen Sätzen „an das christliche Volk“ über die Bedeutung des Pfingstrittes als vorväterliches und religiöses Brauchtum, seinen beherzigenswerten Worten über die Symbolik der Auszeichnung eines Bürgersohnes und langjähriger Ritteilnehmer.
Dieser Pfingstritt ist und bleibt die große bayerische Bittprozession zu Pferde – eine Demonstration des Glaubens und der Heimatliebe. Der Kötztinger Pfingstgeist wird vom Vater auf den Sohn vererbt, wie eine brennende Fackel von Generation zu Generation weitergereicht. Weder Krieg, noch Not, noch politische Zugriffe konnten den Pfingstgeist in Kötzting zerschlagen. Solange es Menschen gibt, die an Gott glauben und ihre Heimat lieben, wird der Pfingstritt zu Kötzting überleben.
Immerhin geht aus den Kötztinger Pfingstrittakten (1782) hervor, daß die sogenannte Kränzelausteilung durch einen Priester „nach einer kurzen, auf Tugend und guten Lebenswandel abziehlenden Anrede“ einem ledigen Bürgerssohn „der sich am löblichsten aufgeführet“ zukomme, „zu unvergeßlichem Angedenken des ehemals dem Seelsorger geleisteten Beystands und hierwegen erhaltenen Belohnung…“
Kränzchenüberreichung. Aus einer Festansprache: „Zur Erinnerung an 1412 wird auch heuer wieder ein junger Mann aus Euerer Mitte mit dem Ehrenkränzchen ausgezeichnet. Dieses Kränzchen sei für ihn und die ganze Stadt eine Anerkennung, aber auch eine echte Verpflichtung zu Heimattreue und Gläubigkeit. Zum … Ritt fordere ich den N.N. auf, das Pfingstkränzlein zu empfangen. Er reite vor!“ – „Empfange dieses Kränzchen! Heute macht das Kränzchen dir Ehre, mache Du Deinem Kränzchen Ehre in Deiner Jugend bis in Dein Alter!“ (P. Rieder, 1912)
Der Geistliche Offiziator bindet das von Mallersdorfer (mittlerweile Seligentaler) Schwestern gefertigte Kränzlein aus Golddraht, Perlen, blitzendem Zierat und bunten Steinchen nebst dem dazugehörigen Armsträußlein (Favorit) vom Brustkreuz los und legt es in das vom Pfingstbräutigam bereitgehaltene Seidentüchlein, das ihm kurz vorher die Pfingstbraut überreicht hat. Der Pfingstbräutigam nimmt die Auszeichnung – von Pferd zu Pferd – in Empfang mit der altüberlieferten Formulierung: „Ich danke für die Ehre und Auszeichnung!“ (Eine Abweichung von diesem Wortlaut ist nicht üblich.)
Mit der Überreichung des Kränzleins an den Pfingstbräutigam hat sich der Übergang von der Reiterprozession als kirchlich-religiöse Handlung zum bürgerlichen Ehrenfest vollzogen.
Das Kränzlein … bildet das Bindeglied zwischen dem religiösen Teil des Pfingstfestes mit dem herkömmlichen Pfingstritt und dem weltlichen Teil der Kötztinger Pfingstfeierlichkeiten mit der zweitägigen Pfingsthochzeit.
Auszeichnung langjähriger Ritteilnehmer. Langjährige Ritteilnehmer werden mit Ehrenfahnen (für 25 Jahre) und Erinnerungsbändern (für 40, 50 und 60-jährige Ritteilnahme) ausgezeichnet. Mit der Ehrung der Jubelreiter hat der Geistliche Offiziator oft auch seine Mühe; gar mancher wuchtige Kaltblüter drängt rückwärts oder will zur Seite preschen.
Es ist eine der schönsten und erhabensten Szenen des Kötztinger Pfingstrittes, wenn auf dem Oberen Markt die Stadt ihre Söhne und die Reiter des Landes ehrt.
Rückkehr in den Pfarrhof. Ein letztes Malt formiert sich die Pfingstrittspitze und gibt mit den Honoratioren und Vereinen dem Geistlichen Offiziator das Geleit zurück in den Pfarrhof. Bräutigam und Brautführer haben sich inzwischen umgekleidet. Alle drei in festlichem Schwarz, den Zylinder auf dem Haupt, den mit farbigen Bändern geschmückten Degen in der Hand – der Bräutigam trägt zudem das „Kranzl“ am Degen und am linken Oberarm den „Favorit“ (früher: Geschenk der Braut; heute: Beigabe der Stadt) – so reiten sie einher.
In den Pfarrhof zieht nur mehr die Reiterspitze ein, sie umreitet die Pfarrkirche von rechts in Richtung St. Anna-Kapelle und erreicht von der Turmseite her den eigentlichen Pfarrinnenhof. Bis zum Jahre 1869 (und wieder seit 2004) hat an der St. Veitskirche der Pfarrherr das Sanctissimum aus den Händen des Geistlichen Offiziators in Empfang genommen und dieses unter dem Traghimmel in der Prozession „im tiefsten Gefühle der Ehrfurcht gegen unsere heilige Religion“ (1821) in die Pfarrkirche zurückgebracht.
Die Pfingsthochzeit
Sicherlich spiegeln die Kötztinger Festlichkeiten mit dem weltlichen Geschehen Bräuche der heidnischen Germanen wider. Doch nur als christlicher Gelöbnisritt konnte der Pfingstritt alle Zeiten überdauern…
Mit der Wahl der Pfingstbräutigams und der Pfingstbraut, mit der Bewirtung der Burschen durch den Pfingstbräutigam (Opferschmaus und Gelage), mit Pfingsttuschen und Musik (Kultlärm), dem Burschen- und Brautzug (Umzug des Pfingstbräutigams und der Pfingstbraut) und der Pfingsthochzeit (Pfingstltanz – symbolische Vermählung) klingt der altvordenkliche Pfingstbrauch des Pfingstl-Spieles im weltlichen Teil des Pfingstfestes zu Kötzting noch immer nach, wie die wichtigsten Grundelemente des Volkstümlichen und des Brauchtums mit dem Kötztinger Pfingsten überhaupt zusammenfließen.
Der Pfingstbräutigam … ist der zur Auszeichnung mit dem Kränzchen nach dem Herkommen vom Stadtrat als Vertreter der Bürgergemeinde vorgeschlagene, vom kath. Pfarramt (Stadtpfarrer) unter den benannten Kandidaten auserwählte Bürgersohn (Erwähnung 1754). Voraussetzung zur Aufnahme in die Vorschlagsliste der Kandidaten und Ersatzleute zur Wahl des Pfingstbräutigams ist die Ansässigkeit in der Gemarkung Kötzting. Außerdem muß er ledig, unbescholten und katholisch sein. Die Regel „In jede Familie fällt das Kränzlein nur einmal, d.h. von den Söhnen einer Familie kann nur einer die Auszeichnung erlangen“ (Riederer 1912) gilt seit 2005 nicht mehr.
Der Pfingstbräutigam hat das Recht und die Pflicht zur Feier der Pfingsthochzeit. Dazu wählt er eine Bürgerstochter als „Pfingstbraut“ und zwei „Brautführer“. Sie sind die ständigen Begleiter des Pfingstbräutigams und des Pfingstbrautpaares. Mit ihnen sucht er alle Formalitäten: Einladungen, Besuche, Kirchgänge, Teilnahme an zahlreichen Festivitäten … „mit Bravour“ zu bewältigen. Er verpflichtet sich der Stadt gegenüber, im folgenden Jahr die Marktfahne (Stadtfahne) beim Pfingstritt mitzuführen.
Noch im 19. Jahrhundert war es üblich, daß der auserwählte Bürgerssohn erst beim Festakt Kenntnis von der Wahl zum Pfingstbräutigam erhielt. Dabei waren vom Magistrat 3 Kandidaten vorgeschlagen worden. Nach altem Modus erhielt in einem Jahr das Kränzlein ein sogenannter „Marktlehener“, d.i. der Sohn eines Marktlehen- und Kommunalbraurechtsbesitzers, im nächsten Jahr ein „Leerhäusler“, d.i. der Sohn eines Bürgers und Hausbesitzers ohne Wirtschaftsbetrieb. 1897 wird festgelegt, daß die Auswahl der Kandidaten nach Ermessen des Pfarramtes erfolgen soll.
„Keine Ehre für die Armen? – Auszeichnung oder Last?“ In früheren Jahren lehnten viele Anwärter ab; es sei ihnen „unmöglich“, die hohen Kosten, die mit dieser Ehrung verbunden seien, zu tragen. Heutzutage erfahren die „Pfingstbräutigame“ rechtzeitig, schon Wochen vor Pfingsten, von der ihnen zugefallenen Ehre.
Die Pfingstbraut … ist die vom Pfingstbräutigam benannte Bürgerstochter. Sie nimmt als Auserwählte des Pfingstbräutigams an den festlichen Aufzügen und an der Pfingsthochzeit teil (erste Erwähnung einer Braut zum Tanze 1757). Ferner beteiligt sie sich an der Feldmesse in Kötzting und an den Fronleichnamsprozessionen des laufenden und des folgenden Jahres. Wie der Pfingstbräutigam muß auch die Pfingstbraut ledig, unbescholten und katholisch sein. Auch sie übernimmt mit dieser hohen Ehre zahlreiche Verpflichtungen. Nach bisheriger Übung trägt die Pfingstbraut am Pfingstmontag zum Burschen- und Brautzug und zur Pfingsthochzeit ein weißes Hochzeitskleid, am Pfingstdienstag ein farbiges Festkleid. Zu Abweichungen kam es lediglich in dem einen und anderen Jahr, wenn von den Beteiligten die sogenannte erneuerte Volkstracht bevorzugt wurde (was sich jedoch nicht bewährt hat).
Burschen- und Brautzug. Frisch Auf! Das Fest der Burschen- und Bürgerschaft beginnt. Ein Fest, zu dem ein glanzvoller Vorabend den Auftakt gegeben hat. Wenn beim Anbruch der Pfingstsonntagsnacht der Burschen-Wanderer-Verein zu seinem herkömmlichen Zapfenstreich (Fackelzug) antritt, dann leuchten bereits Tausende von bunten Lichtern an den Fenstern auf, die große Illumination taucht die kleine Stadt in magisches Licht. Würde bringt Bürde für den Pfingstbräutigam! An zwei Nachmittagen dürfen die Kötztinger Burschen und Altburschen die Gastfreundschaft ihres auserwählten Kameraden genießen. Am Pfingstmontag bewirtet er sie zur Erholung von den Strapazen des Rittes, zur Stärkung für bevorstehende Anstrengungen.
Gegen 17 Uhr formieren sie sich – an der Spitze der Pfingstbräutigam und seine beiden Brautführer – zum Burschen- und Brautzug, der zunächst zum Haus der Pfingstbraut führt. Schon hat sich auch hier eine riesige Menschenmenge versammelt. Spannung und Erwartung in diesem Augenblick, wenn sich die Pfingstbraut am hochgelegenen Balkon zeigt, um über die Fahne der Burschenschaft ein Birkenkränzlein fallen zu lassen. Ein Hoch! Das Kränzlein hat sein Ziel nicht verfehlt. Nach einem Ständchen der Musikkapelle kann der festliche Zug durch die Straßen der Stadt weitermarschieren, vorbei auch am Hause der vorjährigen Pfingstbraut. Am Alten Rathaus reicht der Bürgermeister – wohl in Anlehnung an das Festspiel! – dem Brautpaar „in Stolz und Freude den Ehrentrunk!“
Es gehört zu den reizvollen und herzlichen Gesten, wenn die Mädchen den vorbeiziehenden juchzenden Burschen von den Fenstern und Balkonen Blumensträußchen zuwerfen. Immer wieder auch: Beifall auf offener Straße! Dankend grüßen Pfingstbrautpaar und Brautführer … Bräutigam und Brautführer haben Degen mit Zitronen vertauscht, in denen Rosmarinsträußlein stecken, Symbol der Reinheit aus der Zeit des Sittenfestes.
Die bezaubernde Pfingstbraut, lächelnd präsentiert sie sich heute im weißen Kleid, von niedlichem Gefolge – Blumenmädchen und Schleierträgerinnen – begleitet! Am Pfingstdienstag wird sie mit einem farbigen Festkleid überraschen.
Pfingsthochzeit. Die Pfingsthochzeit bildet den bürgerlich-festlichen Ausklang des Pfingstrittfestes. Die Pfingsthochzeit ist nur dem Namen nach eine Hochzeit. Es handelt sich um eine Tanzveranstaltung. Hochzeitsbräuche wie Ofenschüsselrennen, Brautstehlen oder Schenken fehlen. Die Ausformung des Ablaufes der Pfingsthochzeit ist in den letzten Jahrzehnten weitgehend vom Burschenverein beeinflusst worden. Der Burschenvorstand gilt als „Chef des Protokolls“. Er eröffnet die Pfingsthochzeit, bestimmt die passende Zeit für die Ehrentänze, sorgt für Plätze nachkommender Ehrengäste, kümmert sich um weitere Einzelheiten, die in den Protokollen des Burschenvereins festgeschrieben sind.
Der Pfingstbräutigam hat das Kränzlein nach den offiziellen Regularien abgelegt, es soll während des allgemeinen Tanzes keinen Schaden leiden. Er trägt nur noch Bänder und den Favorit.
Die Pfingsthochzeit ist an beiden Tagen, am Pfingstdienstag wie am Pfingstmontag, eine bei der Bevölkerung beliebte öffentliche und allgemeine Tanzveranstaltung. Erst mit dem zweiten Abend der Pfingsthochzeit, der wie am Vortage eine Bewirtung der Burschen beim Pfingstbräutigam und eine Wiederholung des Burschen- und Brautzuges vorangeht, wird das Bürgerfest beim Kötztinger Pfingstbrauchtum seinen strahlenden Abschluss finden.
„Geistlich und weltlich Thun sind im Pfingstritt verschmolzen zu einem Stück Poesie aus dem Bayerischen Walde.“ (Mehler 1901)
Quelle: Krämer, Karl Heinrich: „Der Pfingstritt zu Kötzting“, 1986
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